Martin Helmchen, 23.10.2022

Sternstunden der Bach-Interpretation: Pianist Martin Helmchen geht im Saal der Waldorfschule durch den Kosmos der Partiten

Dreimal zwei Partiten von Johann Sebastian Bach, unterbrochen durch zwei Pausen, hat der Pianist Martin Helmchen im Rahmen der Wangener Altstadtkonzerte seinem Publikum, das aus einer weiten Umgebung in den schönen Saal der Waldorfschule gekommen war, geschenkt: Nicht nur physisch mit rund zweieinhalb Stunden reiner Musikzeit, auch geistig ist das eine große Herausforderung, denn Helmchen musizierte sie auswendig und wunderbar facettenreich. Das Publikum dankte ihm mit großer Konzentration und erhob sich zum Schlussbeifall von den Sitzen, denn solch eine Gesamtaufführung aller Partiten verdient größte Hochachtung.

Partiten sind mehrsätzige Suiten mit groß angelegten Eröffnungssätzen und französischen Tanzformen wie Allemande, Courante, Sarabande und Gigue, die in jeder Partita noch mit anderen Charaktertänzen wie einem Menuett, einem Scherzo oder einer Gavotte erweitert werden. Natürlich sind sie stilisiert, schon zu Bachs Zeiten wurde nicht mehr dazu getanzt. Doch der fließende, schreitende oder hüpfende Charakter der jeweiligen Bewegung ist erhalten geblieben. Die Eröffnungssätze im Stil einer Toccata, einer französischen Ouvertüre oder einer Fantasie hat Bach in diesen Partiten besonders sorgfältig gearbeitet. Man erlebt also Bachs schöpferische Vielfalt und individuelle Ausgestaltung in einer wiederkehrenden Form und Martin Helmchen ist ein Meister darin, diese immer neu zu fassen und zu beleben.

So nimmt er seine Hörerinnen und Hörer mit leuchtendem Anschlag in der rechten Hand und bald sanften, bald kernig pulsierenden Bässen mit auf die Reise. Das Pedal verwendet Helmchen nie, dank seiner Legatokultur und der feinen Balance der Stimmen erzeugt er dennoch einen singenden Oberstimmenklang, der sich in weiten Bögen aufbaut und wieder zurücksinkt. Die stolzen Punktierungen der französischen Ouvertüren öffnen den Raum der Tonart, das fließende imitatorische Spiel der Hände, die filigranen, präzise gesetzten Triller oder die hurtigen Springtänze machen das Spiel des Pianisten ungemein lebendig und detailreich. Die ruhig schreitenden Sarabanden lässt er aus der Stille entstehen und spannt einen großen Atembogen darüber, jeder Ton, jede Artikulation ist rund und sauber gesetzt.

Durch Helmchens subtile, manchmal auch stärker ausgeprägte Agogik ist sein Bach-Spiel niemals starr, sondern in sich bewegt, klar und singend. Auch in der Wahl seiner Tempi überzeugt der Pianist, in der Abwechslung der Charaktere und der besonderen Gestaltung der großen und kleinen Formen kann ihm das Publikum auch über die lange Zeit folgen. So wird dieser außergewöhnliche Abend noch lange nachklingen.

Katharina von Glasenapp, Schwäbische Zeitung Wangen, 26. Oktober 2022