Der Diener zweier Herren, 15.10.2022

Mit Slapstick und Wackelpudding in die Vollen gehen

Carlo Goldonis Komödie „Der Diener zweier Herren“ hat am Samstag im Festsaal der Freien Waldorfschule die Theatersaison eröffnet und das mit viel Zuspruch seitens des Publikums. Der Dreiakter mit dem Ensemble der Württembergischen Landesbühne Esslingen ist eine Hommage an die Commedia dell’arte, nur nicht in traditionellem Sinne, gilt Goldoni doch als Erneuerer selbiger. Lustspiele waren seine Spezialität und so geht es weniger um einen extraordinären Plot als vielmehr um die Charaktere selbst. Auch an diesem Samstagabend.

1707 in Venedig geboren, 1793 in Paris gestorben hat Goldoni, der zeitweise immer wieder als Rechtsanwalt arbeitete, an die 200 Stücke geschrieben und sich in allen dramatischen Gattungen versucht. Den meisten Menschen ist die Commedia dell´arte durch das Tragen von Masken ein Begriff. Doch genau das erlahmte und so schaffte Goldoni diese Archetypen ab, um die „Seele unter der Maske“ von Schauspielerinnen und Schauspielern zu offenbaren. Der Charakter des Stegreiftheaters als vitales und spontanes Spiel, verbunden mit artistischen Einlagen, blieb dabei erhalten.

Goldonis Diener Truffaldino, entstanden in den Jahren von 1743 bis 1748 in Pisa, ist sein erfolgreichstes Stück. Regisseur Markus Bartl hat sich dem vielfach aufgeführten Stoff angenommen und dabei den Fokus auf das lustvolle Spiel gerichtet. Frei nach dem Motto, nicht die Moral, sondern die Unterhaltung steht im Vordergrund und das hat voll gezündet. Nicht mehr und nicht weniger als ein kunterbunter Lamellenvorhang im Hintergrund macht Philipp Kiefers Bühnenbild aus. Es steht für die Farbigkeit der Commedia ebenso wie die karierten Socken von Clarice (Eva Dorlaß) oder das Outfit von Zofe Smeraldina (Gesine Hannemann). Eingebaut hat Kiefer eine Rampe hinunter zur ersten Reihe, von wo aus das Treiben auch startete und eine schwellenlose Verbindung zum Auditorium schaffte. Immer dann, wenn Florindo (Felix Jeiter) gleitschuhartig von der Bühne in Richtung Sitzplatz rutschte oder umgekehrt Silvio (Markus Michalik) mit viel akrobatischem Gestolper den Spielboden erklomm.

Im Frack mit Hochwasserbeinen steckend und eine clownesk-komische Haltung imitierend eroberte Michalik im Nu die Herzen des Publikums. Er ist der haltlos in Clarice verliebte Spaßkasper, der leicht trottelig wilde Degenkämpfe ausficht und auf Kommando die Hacken knallen lässt. Slapstick pur. Damit steht er dem vermeintlichen Ernst, den Clarices Vater Pantalone De´ Bisognosi (Daniel Großkämper) und Silvios Vater Dottore Lombardi (Achim Hall) mimen, ziemlich krass gegenüber. Wirft der eine verzweifelt Tabletten gegen einen möglichen Kollaps ein, sobald Clarice den nächsten wutentbrannten Heulanfall simuliert, raspelt der andere lateinische Weisheiten herunter. Alles scheint „bello e impossibile“. Mit Kristin Göpfert als Beatrice Rasponi verleiht Bartl der Inszenierung so etwas wie Bodenhaftung. Sie tritt in Männerkleidung auf und gibt vor, ihr Bruder Frederico zu sein. Diesen hat allerdings Florindo, den Beatrice liebt, in einem Duell getötet. Frederico wiederum ist Clarice versprochen, die sich aber mit Silvio verlobt hat. Fehlt noch die Hauptfigur – Martin Theuer als tolpatschiger und gewitzter Diener mit dickem Schmerbauch. Der ständige Hunger ist sein Antrieb, sich gleich zwei Herren – Beatrice und Florindo – zu verschreiben. In der Hoffnung auf zweifachen Lohn und vierfaches Essen. Nur, dass keines von beiden wirklich klappt. Dafür einiges andere. Insbesondere aberwitzige Verwechslungsszenen, weiß er doch nach kürzester Zeit nicht mehr, welchem der beiden Herren er wann oder mit was dienen soll. Seien es die Briefe, die er öffnet, aber nicht lesen kann, oder die vertauschten Koffer mit den zu lüftenden Kleidungsstücken, die er schlicht über den Haufen wirft. Diese Szenen reizten zu wahren Lachanfällen im Publikum.

Manchmal erschien er einem zu gemächlich gemessen am Spieltempo. So im letzten Akt, wenn Koch Brighella (Kim Patrick Biele) und Kellner (Birte Westerhoff) die Speisen auftragen und Truffaldino etwas mehr ins Schwitzen hätte kommen können zwischen Ragout und Frikadellen. Was sitzt, ist seine unermüdliche Erfindungsgabe von immer neuen Lügen, die er aus dem Ärmel hervorkramt, um sie seinen Herren unterzujubeln. Hierin spielt Theuer sich selbst, steckt fest in seiner Rolle als Nimmersatt, der mit beiden Händen in die Vollen greift – in den glitschigen Wackelpudding.

Babette Caesar, Schwäbische Zeitung Wangen, 19. Oktober 2022