Cantarte „OpeRockYou“, 8. und 9.10.2022

Wenn Emotionen Purzelbäume schlagen

Ein Festival von Musik, Gesang und bunten Kostümen, ein unvergessliches Musikerlebnis boten Martina Klesse-Schmitz und Cantarte an zwei Abenden im Festsaal der Waldorfschule Wangen. Zwei Jahre haben die Fans auf dieses für 2020 angekündigte „10 Jahre-Cantarte-Konzert“ warten müssen und was Martina Klesse-Schmitz und ihre Sängerinnen und Sänger da auf die Bühne des vollbesetzten Saals der Waldorfschule gestellt haben, lässt sich in Worte kaum fassen. Obwohl auch diesmal Chormitglieder wegen Krankheit nicht dabei sein konnten, wurde es ein fast euphorisch aufgenommenes Festival von Musik, Gesang, bunten Kostümen und geschminkten Gesichtern. Und das Allerwichtigste: Die Emotionen konnten Purzelbäume schlagen.

Eine Mixtur aus E- und U-Musik – geht das überhaupt? Ein klares Ja! Wenn man die Stilbrüche bewusst einsetzt, Melodien aus Opern, Musicals und dem Rock’n’Roll gekonnt ineinander verschmelzen lässt und die Übergänge vom einen zum anderen harmonisch gestaltet, dann reichen sich Johann Strauß und die Gruppe Queen die Hand, tanzt Verdis Kameliendame zu den Klängen von Abba, glaubt man Falco, dass er hinter dem Protagonisten Amadeus den Anhänger der Punk-Szene in Wien erkannt hat.

Doch ganz von vorn. Martina Klesse-Schmitz betrat in einem aufregenden schwarzen Jumpsuit die Bretter, die die Welt bedeuten, und gab mit „Chacun à son goût“ singend die Richtung vor. Um dann, sobald sie den Gesamtchor zu sich gerufen hatte, ganz und gar in ihrem Element zu sein: „We Will Rock You.“ Im Laufe der nächsten zweimal 60 Minuten dirigierte – nein, befeuerte sie die „Stilblüten“ und die „Salonlöwen“, begleitete die „Pfefferschoten“ am Flügel, tanzte zwischen den „Malefits“ und den „Showstoppers“ hin und her.

Eine winzig kleine Verschnaufpause gönnte sich die Künstlerin, als die Combo aus Danalla Celeva (Klavier), Jeff Wohlgenannt (Kontrabass), Julian Torres (Gitarre) und Matthias Jakob (Schlagzeug) ihre Solo hatte. Wobei sie nicht vergaß, einen Blick zum Videogerät zu werfen, damit ihr krank zu Hause gebliebener Ehemann Markus Schmitz, der normalerweise das Violoncello spielt, wenigstens per Bildschirm etwas vom Zauber der Darbietungen mitbekam.

Nach „The Eye Of The Tiger“ von der Band Survivor aus dem Film „Rocky III“ waren die Jüngsten dran. Schmuck hergerichtet als wilde Piraten, fuhren diese in einer „Nuckelpinne“ übers Meer, wechselten die Stimmung und wünschten sich „My Bonnie“ zurück, um dann zusammen mit „Kolumbus“ Amerika zu entdecken. Martina Klesse-Schmitz wäre nicht sie selbst, wenn sie in ihren Konzerten nicht immer wieder auf das verweist, was ihr eine Herzensangelegenheit ist: Frieden, Verständigung unter den Menschen, Liebe und Gottvertrauen. Bei „I See A Star“ richteten sie und Solistin Lana Sofia Iskin den Fokus genau darauf: „That all the world, which lies in sleep, wakes to find the hope it needs.“

„Shallow“ aus dem Film „A Star is Born“ zielte in dieselbe Richtung. Zwei Menschen, denen das Leben auf jeweils andere Art und Weise sehr zugesetzt hat, wollen einen Ausweg aus der Leere und Hoffnungslosigkeit finden. Das Gefühl, „kurz vor einem Nervenzusammenbruch zu stehen“, wird von beiden geteilt. Ihre Nähe wächst. Und was tut das Gesangsduo, das zuvor schon einen Stern gesehen hatte? Die Rührung ist so groß, dass es sich weinend in den Armen liegt.

Vor der Pause das absolute Highlight: „Bohemian Rhapsody“. Der Text, den der Tutti-Chor mit großer Hingabe präsentierte, stammt vom 1991 verstorbenen Freddie Mercury. Viele der Zuhörer müssen diesen – wie übrigens alle anderen auch – auswendig gesungen Beitrag als eine Hommage an den schillernden Frontmann von Queen empfunden haben.

Im zweiten Teil wurde „Thunderstruck“ von AC-DC statt instrumental dargeboten zu einem weiblichen Gesangsknüller: „And I knew there was no help, no help from you“. Die „Drei Hexen“ aus Verdis Oper „Macbeth“, wunderbar von Leony Flügel, Debora Morgenthaler und Jasmin Thanner umgesetzt, verströmten anschließend ihre übernatürlichen Kräfte, um so „die göttliche Ordnung zu verletzen“. Das „Junge Terzett“ war es dann noch einmal, als es bei „Wings“ zu interpretieren hatte: „Mama ermahnt mich, nicht mein Leben zu vergeuden.“

Wer kennt sie nicht, die „West Side Story“ des Komponisten Leonard Bernstein? Die Combo spielte „Tonight“, der Männerchor flüsterte zärtlich „Maria“ und das „Junge Terzett“ war überzeugt davon: „I Feel Pretty“. Der Beitrag von Helmut Flügel, Christian Hitz-Brunold und Peter Vonier als „Männerterzett“ zeigte sich „Cool“, während abschließend die Röcke der Damen flogen: „America!“

„Love Shack“, also das „Liebesnest“, war so recht dazu angetan, die Stimmung und den Geräuschpegel noch einmal auf die Spitze zu treiben, bevor „Somewhere“ den unvergesslichen Abschluss bildete: „There’s a place for us, a time and a place for us.“ Gerne hätte man sich wie Tony und Maria an den Händen gehalten und mitgesungen: „Hold my hand and I’ll take you there – somehow, someday, somewhere.“

Vera Stiller, Schwäbische Zeitung Wangen, 11. Oktober 2022