Stadtkapelle setzt musikalisches Zeichen der Verbundenheit – Frühjahrskonzert steht im Zeichen der Hilfe für Kinder in der Ukraine – Warum manche Stücke auch an den dortigen Krieg denken lassen
„Ein schönes Zeichen der Verbundenheit“ nannte OB Michael Lang das Frühlingskonzert der Stadtkapelle, mit den Menschen in und aus der Ukraine. Der Erlös aus den Einnahmen und aus dem Spendenaufruf gehen an den Verein „Hope“, der dort schwerst kranke Kinder unterstützt.
Es wird wohl niemanden geben, der den Festsaal der Waldorfschule Wangen am Samstag nicht ebenso beglückt wie tief bewegt verlassen hat. Nach zwei Jahren Zwangspause beschenkte die Stadtkapelle unter der Leitung von Tobias Zinser die Besucher mit einem Konzert, das besser nicht hätte zusammengestellt werden können. Wenngleich sich der Frühling für ein paar Tage zurückgezogen hatte, so war er an diesem Abend doch deutlich zu spüren. Endlich wieder ein schönes Konzert erleben, das wollten alle, die sich frühzeitig auf den Weg zum Veranstaltungsort gemacht hatten. Und sie taten gut daran. Kurz vor 20 Uhr war, obwohl durch weitere ergänzt, kein freier Stuhl mehr zu sehen.
Den Auftakt der Darbietungen bildete „The Hounds of Spring“ von Alfred Reed. Die dreiteilige Ouvertüre malte ein zauberhaftes Bild einer jungen Liebe im Frühling. Inspiriert wurde der Komponist durch ein Gedicht von Algernon Charles Swinburne, das von der „mother of month“ erzählt, in dem sich „die lachenden Blätter der Bäume teilen“. Bleibt zu erwähnen, dass die Holzbläser und Saxofone den warmen Grundklang des Mittelteils gekonnt zur Geltung brachten.
In seiner Suite verwendet Jan Bach mehrere Stücke des deutschen Komponisten Michael Praetorius. Für die Sammlung mit Tanzmusik, die nach der antiken Muse des Tanzes „Terpsichore“ benannt ist, agierte Praetorius weniger als Komponist denn als Herausgeber. Tobias Zinser und seine Instrumentalisten vermittelten den Zuhörern die französische Tanzkultur an den Höfen Mitteleuropas und ließen die Courante oder die Gavotte vor dem geistigen Auge auferstehen. Dann die „Finlandia op. 26/7“. Wenn diese sinfonische Tondichtung von Jean Sibelius von der Stadtkapelle auch schon vor Kriegsbeginn in der Ukraine ausgesucht worden war, so passte sie doch wie kein vergleichbares Musikstück zu der augenblicklichen Situation. „Kampflied und Siegeshymne“ nannte Sibelius sein Werk, das im Zuge der finnischen Unabhängigkeitsbestrebungen gegenüber Russland seinen Ursprung hat. Seit 1809 gehörte Finnland dem Russischen Reich an, zuvor aber hatte es jahrhundertelang zu Schweden gehört. Die Bürgerrechte der Finnen, nicht zuletzt die Pressefreiheit, waren zu dieser Zeit von der russischen Obrigkeit stark eingeschränkt worden. Wenn man um diesen Teil der finnischen Geschichte weiß, hört man, wie am Samstag geschehen, den dynamischen Schwung und den sinnfälligen Aufbau der Tondichtung mit einem eigenen Bewusstsein. Nachdem das „kleine, aber feine Meisterwerk“ von Václav Nelhybel, die „Corsican Litany“, verklungen war, ging es in die Pause.
Den zweiten Konzertteil eröffnete die Stadtkapelle mit dem eindrucksvollen „Summon the Heroes“. Wobei die Trompeten mit strahlenden Fanfaren glänzen konnten. Nicht zuletzt sind die Kompositionen von John Williams, der 1996 in Atlanta mit diesem Stück den 100. Olympischen Spielen der Neuzeit ein musikalisches Denkmal setzte, immer wieder „unter die Haut gehend“. Mit „Vasa“ beschreibt der 1964 geborene Spanier José Suner Oriola die Eindrücke eines Besuchs des bekannten Vasa-Museums in Stockholm. Einmal war es die mit Musik umgesetzte „bedrohliche Schieflage“ des legendären Kriegsschiffes der königlichen Flotte Gustav Adolfs II., zum anderen die ruhigen, die gefühlvollen Passagen der Komposition, die beeindruckten.
„Suite From Hymn of the Highlands“ von Philip Sparke zeichnet drei starke musikalische Bilder der schottischen Landschaft. Im ersten Satz „Ardross Castle“ entstand mit wuchtigen Pinselstrichen die Ansicht einer Burg, „Alladale“ kreierte ein Dorfidyll, kriegerische Trommeln und martialische Trompeten und Posaunen riefen im dritten Satz „Dundonnell“ zur Schlacht. Nach dem Sieg keimte hemmungslose Freude auf. Tobias Zinser kostete die wilde Dramatik der Szene sichtlich aus.
Der Dirigent war es auch, der nach „The Crazy Charleston Era“ und der ersten Zugabe, dem bulgarischen Marsch „Das Abzeichen“ von Stefan Marinoff, dem Publikum noch etwas Nachdenkliches mit auf den Weg nach Hause geben wollte: „Threnody“ von James Barnes. Das Klagelied ließ den Atem stocken und die Gedanken zu den Menschen in der Ukraine wandern.
Vera Stiller, Schwäbische Zeitung Wangen, 11. April 2022