Fantasiereisen mit Geräuschen, Klängen und Rhythmen
Altstadtkonzert mit Johannes Fischer in der Waldorfschule schickt Publikum auf eine Klangreise
Kaum zu glauben, dass der Gewinn des ARD-Wettbewerbs des 1981 in Leonberg geborenen Musikers und Klangzauberers Johannes Fischer bald 15 Jahre zurückliegt! In Freiburg hat er Schlagzeug studiert und spannende musikalische Exkursionen mitgemacht, seit vielen Jahren unterrichtet er bereits selbst an der Musikhochschule in Lübeck und lebt in einem kleinen Dorf an der Ostsee. Jetzt war er im Rahmen der Wangener Altstadtkonzerte auf der großen Bühne der Waldorfschule zu Gast, begeisterte am Nachmittag über 100 gespannt lauschende Kinder und ihre Begleitpersonen mit Auszügen aus seinem Programm. Abends hätte der Saal durchaus noch ein paar mehr Menschen vertragen, die Anwesenden aber erfuhren, wie facettenreich Fischers Klangpalette ist, wie sich kindliche Neugier und Experimentierfreude bewahren lassen und wie abenteuerlich das Leben eines Schlagzeugers und seiner Instrumente sein kann.

Dass Schlagzeuger (und natürlich Schlagzeugerinnen) sich zu Beginn gerne auf den Töpfen und Backblechen der elterlichen Küche austoben, ist bekannt. Bei Johannes Fischer kamen außerdem Waschmittelkartons dazu und auch bei seinem Konzert in Wangen führte er unter anderem zwei metallene Schneebesen mit sich. Auch Baumärkte sind eine Quelle der Inspiration, vor allem, wenn unterwegs mal etwas kaputt geht. Als Johannes Fischer bei seiner Performance im Rahmen des Kinderkonzerts mit dem Fuß zwei Blumentöpfe touchierte, suchte er in der Waldorfschule („wo, wenn nicht dort kann ich fündig werden?“) nach Ersatz von klanglich passenden Keramikübertöpfen. So entstand eine „Wangener Fassung“ von „To the earth“, in dem der polnisch-amerikanische Komponist Frederic Rzewski den Interpreten Homers Lobgesang auf die Götter und die Schöpfung rezitieren lässt und dieser dazu vier Blumentöpfe mit dünnen Bambusstäben anschlägt: Es entstand eine leise, poetische Fantasiereise mit rhythmisiertem Text, eine Meditation in Klang und Bewegung. In Fischers eigener Komposition „Gathering“ erlebte man seine schöpferische Phantasie im Umgang mit dem teils präparierten Vibraphon und allerlei klingenden Materialien: Faszinierend die Hingabe an die Klangerzeugung, die Kontraste in Klangfarbe und Dynamik, das Wispern von Metall oder die bauchigen Akzente durch einen Streichbogen.
Immer wieder arbeitet der Künstler mit Elektronik, sei es, um in Steve Reichs „Music for Pieces of Wood“ die fünfte Stimme als Grundpuls einzuspielen (die „Holzstücke/Klanghölzer“ führen ein genau definiertes Eigenleben, ebenso die je zwei Schlegel, die Johannes Fischer in den Händen hält und ganz und gar unabhängig einsetzt). In „Under ground“ haben die Mikrofone ihr „Ohr“ am Deckel eines sauberen Ölfasses und eines liegenden Tamtams: Auch in diesem eigenen Stück, inspiriert vom Weltkulturerbe Rammelsberg und seinen Maschinen, schickt Fischer sein Publikum auf Klangreise mit Fingerknöcheln und Handballen und allerlei Zuspielungen und Klangmischungen. Es wirkt wie „Geisterspiele“ mit fauchenden und schabenden Geräuschen, eingefangen mit einem tollen Gespür für Timing und Spannungsaufbau. In Steve Reichs „Electric Counterpoint“ schließlich hat Johannes Fischer 13 Tonspuren mit dem Vibraphon aufgenommen („etwas beängstigend“ sei dieser vervielfachte Dialog mit sich selbst, kommentiert der auch humorvoll moderierende Künstler) und mischt seine 14. Stimme live dazu: Durchlässig für den Puls und den Fluss der Musik hat sein Spiel etwas Magisches. In „Variations on a dream“, dem Arrangement eines Klavierstücks von John Cage, setzt er allerlei ostasiatische Instrumente und das afrikanische Daumenklavier Kalimba ein, mal behutsam vorsichtig, mal in ein Klanggewitter von hängenden Gongs mündend. Dass seine Kunst körperliche Schwerstarbeit ist, zeigt Fischer schließlich in einem Klassiker des griechischen Musikers und Architekten Iannis Xenakis, der im Mai seinen 100. Geburtstag hätte. Spätestens, wenn Fischer zu den im Halbkreis aufgestellten Trommeln und hell klingenden Holzblöcken mit dem Fuß auch noch eine große Basstrommel anschlägt, glaubt man, eine der vielarmigen indischen Gottheiten vor sich zu sehen.
Katharina von Glasenapp, Schwäbische Zeitung Wangen, 23. Februar 2022