Opernbühne „Fidelio“, 2. und 3. Oktober 2021

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Opernbühne Württembergisches Allgäu inszeniert Beethovens „Fidelio“

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Ein politischer Gefangener, der aus Herrscherwillkür eingekerkert wurde. Dazu eine mutige Frau, die sich, als Mann verkleidet, ins Gefängnis einschleicht. Die Geschichte, die uns Beethoven in seinem „Fidelio“ erzählt, ist seit der Uraufführung am 20. November 1805 zeitlos aktuell. Denn es geht um Missbrauch von Macht und es geht um Treue, die kein Risiko scheut. Der Traum vom kleinen Glück ist die Triebfeder, Freiheit und Gerechtigkeit bilden die große Vision.

Welcher Zeitpunkt eignet sich für die Aufführung von Beethovens einziger Oper also besser als gerade der um den 3. Oktober herum, an dem die vollzogene deutsche Einheit als Nationalfeiertag begangen wird? Als 1990 der vier Jahrzehnte währende Zustand der deutschen Teilung als Folge des Zweiten Weltkrieges in der Ära des Kalten Krieges beendet wurde?

„Fidelio“ im Beethoven-Jahr 2020 herauszubringen, das war für die Opernbühne Württembergisches Allgäu mit ihrem Gesamtleiter Friedrich-Wilhelm Müller fast schon eine Verpflichtung. Wenn dann auch die Corona-Bestimmungen einen Strich durch die Rechnung machten, so ließ man sich nicht entmutigen. Kurzerhand wurde die „Befreiungsoper“ in konzertanten Streifzügen aufgeführt. Immer in der Hoffnung, die szenische Erarbeitung doch noch folgen zu lassen.

Das ist in nur drei Monaten konsequenten Probens gelungen. Mit dem jungen Tiroler Regisseur Florian Hackspiel und der Bühnen- und Kostümbildnerin Annett Lausberg wurde ein Team gefunden, das sich laut Möller „mit viel Herzblut und Energie in die Arbeit gestürzt hat“. Mit dem zum Teil neu besetzten Ensemble aus zwei Sängerinnen und fünf Sängern wie dem Chor und dem Orchester der Opernbühne entstand ein Gesamtwerk, das als „Singspiel“ beginnt und als „große Bühne“ endet. Leichtes, Ernsthaftes und „etwas dazwischen“ gehen Hand in Hand.

Immer wieder werden „Fidelio“ und Beethovens 9. Symphonie in einem Atemzug genannt. Und in der Tat liegen sie inhaltlich nicht weit voneinander entfernt. Man denke beispielsweise an das Finale der Oper, wo es heißt: „Wer ein holdes Weib errungen, stimm‘ in unsern Jubel ein“. In Schillers „Ode an die Freude“ singt der Chor: „Wer ein holdes Weib errungen, mische seinen Jubel ein“. Es ist überliefert, dass sich Beethoven für die Ideen der Französischen Revolution begeisterte. Auch das Thema Völkerverständigung war dem Komponisten wichtig: „Alle Menschen werden Brüder, wo dein sanfter Flügel weilt.“

Als sich der Vorhang im Saal der Wangener Waldorfschule am vergangenen Sonntag hebt, wird es offensichtlich: Fidelio zeigt sich praktikabel und modern. Die Outfits sind alltagstauglich, Handys keine exotischen Accessoires mehr. Drei bewegliche Riesenleitern mit geräumigem „Plateau“ sind ideal für ein bewegtes Agieren der Darsteller. Vortrefflich lässt es sich darauf sitzen, knien, rauf und runter laufen, in schwindelnder Höhe singend stehen und ab und zu sogar liegen.

Während Dirigent Friedrich-Wilhelm Möller die Sängerinnen und Sänger wie die Chöre auf der Bühne und das Orchester im „Orchestergraben“ mit eleganter Taktstockführung leitet und Bläser wie Streicher jede Stimmung, jeden Ausdruck der Partitur transparent nachempfinden lässt, erleben die Zuschauer eine stimmvolle und stimmige Inszenierung von Florian Hackspiel.

Bevor die als Mann verkleidete Leonore unter dem Namen Fidelio ihrem eingekerkerten Ehemann Florestan zur Befreiung verhelfen kann, dauert es noch fast zwei Stunden. Bis dahin hat Florestan seine Hoffnung auf Leonore gesetzt. Eugene Amesmanns lyrischer Tenor vibriert nur so von Sehnsucht und Vertrauen, die ihm angelegten Ketten geben dazu den Takt an: „Ich seh‘, wie ein Engel im rosigen Duft sich tröstend zur Seite mir stellt, ein Engel, Leonoren, der Gattin, so gleich. Der führt mich zur Freiheit ins himmlische Reich.“

Nach Florestan tritt Christian Feichtmair als rettender Minister Don Fernando auf. Auch wenn die Partie klein ist: sie wurde mit dem in Wangen bekannten Künstler vortrefflich besetzt.

Die helle lyrische Stimme von Milena Arsovska, die sich als jugendlich blühende Kerkermeisterstochter Merzelline äußerst kokett in Szene zu setzen weiß, gefällt ebenso wie ein üppig blühender, herrlich farbenreicher Fidelio, gesungen von Isabel Blechschmidt. „Wie groß ist die Gefahr, wie schwach der Hoffnung Schein!“ Nach ihr gesellt sich im ersten Quartett mit Papa Rocco die Bassbariton-Wärme von Jörn Schümann. Wie er die menschliche Seite an Roccos zwiespältigem Charakter gut hervorhebt.

Bleibt noch der unglücklich verliebte Jaquino, klar und strahlend Francisco Huerta: „Mir sträubt sich schon das Haar, der Vater willigt ein.“ Und als eine Art „Publikumsliebling“ erweist sich Reuben Willcox. Obwohl gerade er den Bösewicht par exellence gibt. Im perfekt sitzenden Anzug schmettert Willcox seine Arien aus luftiger Höhe in den Saal hinein. Gänsehaut nicht ausgeschlossen.

Vera Stiller, Schwäbische Zeitung Wangen, 5. Oktober 2021