Opernbühne „Fidelo“, 03.10.2020

Ein außergewöhnliches Musikereignis: Die Opernbühne Württembergisches Allgäu bescherte dem Publikum im Saal der Waldorfschule mit „Fidelio“ einen großartigen Konzertabend.

„Fidelio“ im Beethoven-Jahr zu spielen, das war für die Verantwortlichen, allen voran Gesamtleiter Friedrich-Wilhelm Möller, fast schon Chronistenpflicht. Und wenn auch durch die Corona-Bestimmungen vieles von dem, was das Inszenierungsteam mit Bühnenbild und Kostümen fertig vorbereitet hatte, dann doch ausfallen musste, so war man sich am Samstagabend im Saal der Waldorfschule einig: Der „konzertante Streifzug“ durch Ludwig van Beethovens „Befreiungsoper“ – mit den von Dirigent Möller erzählend-kommentierenden Einschüben – ließ nichts vermissen.

Beethovens einzige Oper ist eine Ode an die Freiheit und die Liebe. Mehr noch: „Fidelio“ richtet sich gegen jede Form der Diktatur. Zusammenfassend könnte man sagen, dass dieses „Lebenswerk Beethovens“ ein fein gewebtes Drama über das „Private im Politischen“, eine Hymne an den hingebungsvollen Menschen im Angesicht der Gewalt ist. Besonders ergreifend findet sich Beethovens klingendes Credo für Gerechtigkeit und Humanität im Schlusschor wieder. Und erinnert dabei an das Gegenstück seiner neunten Sinfonie. Schillers „Ode an die Freude“ ist seither zum klassischen „Menschheitsschlager“ geworden.

Auch wenn hier allein als Konzert dargeboten, so ist doch herauszuhören, dass diese Oper generell über größere Strecken hinweg mehr symphonische und oratorienhafte Züge zeigt. So lässt Friedrich-Wilhelm Möller sein Orchester den Wandel vom anfänglichen „Singspiel“ bis zum großen „Bühnenwerk“, das vom Kerkerdunkel hin ans Licht führt, authentisch nachempfinden. Jede Stimmung, jeder Ausdruck wird transparent, jede Feinheit der Partitur herausgearbeitet.

Da ist zum Beispiel das Quartett „Mir ist so wunderbar“. Hier wird durch die Instrumentalisten das nach innen gerichtete Denken jeder für sich singenden Figur in ein zartes Licht getaucht. Hier ist auch der Moment, wo die Hauptfigur Leonore zum ersten Mal in Erscheinung tritt. Sie schleicht sich förmlich musikalisch in das Stück hinein. Wie sie sich ebenso diskret und unter dem falschen Namen Fidelio und in Männerkleidung in die Dienste des Kerkermeisters Rocco begibt, um ihren Gatten Florestan aus dem Gefängnis und aus den Klauen des Tyrannen Pizzaro zu befreien.

Ula Drescher ist diese mutige und energische Frau. Ihre hoch präsente und klare, geradezu „heldenhafte“ Sopranstimme überzeugt ebenso wie ihr schauspielerisches Talent. Gekonnt gibt sie jede der Gemütszustände Leonores zu erkennen: mal zornig, mal voller sehnsüchtiger Wehmut, dann wieder sich ihrer eigenen Stärke bewusst. Das Orchester übernimmt die Aufgabe, den Gesang gleichsam wie ein Zwiegespräch Leonores mit sich selbst zu formen.

Auch das Zusammenspiel mit Florestan funktioniert wunderbar. Mit „Gott! Welch‘ Dunkel hier!“ zieht Sebastjan Podbregar die Zuschauer förmlich mit in die dunkle Kälte des Kerkers. Den weiteren Verlauf der Arie gestaltet der junge Slowene mit beseelter Tenorstimme.

Die helle lyrische Stimme von Indira Hechavarria Pupo als Marzelline, die sich im Spiel äußerst kokett in Szene zu setzen weiß, gefällt ebenso wie Tenor Timo Rößner (Jaquino) als hartnäckiger Werber in Liebesdingen. Seine Begierde zielt in Richtung Leonore. Dem Bösewicht Don Pizarro verleiht Reuben Willcox mit baritonaler Fülle ein in der bedrohlichen Ausgestaltung kaum zu übertreffendes Gewicht.

Bleiben noch Jörn Schümann als Rocco und Christian Feichtmair als Minister Don Fernando. Schümann hebt mit ebenso weicher wie reifer Bassbaritonstimme die menschliche Seite an Roccos zwiespältigem Charakter hervor. Und mit Bariton Feichtmair, ein in Wangen bekannter und geschätzter Künstler, ist auch die kleine Partie des Don Fernando prächtig besetzt.

Der ebenfalls von Friedrich-Wilhelm Möller einstudierte Chor der Opernbühne komplettiert die konzertante Aufführung zu einem runden Ganzen. Nicht vergessen werden dürfen auch die zielführenden Bemühungen sein, alle coronabedingten Maßgaben, vor allem hinsichtlich der einzuhaltenden Abstände und der Belüftung, gewissenhaft auszuführen.

Nicht enden wollender Applaus zeigt dann auch den Respekt und die Dankbarkeit gegenüber allen Ausführenden an. Wie man sicherlich gerne den Satz von Friedrich-Wilhelm Möller im Ohr behält, der die Hoffnung ausspricht, im kommenden Jahr „einen Fidelio in Maske, Kostüm, Bühnenbild und Inszenierung“ präsentieren zu können.

Vera Stiller, Schwäbische Zeitung Wangen, 6. Oktober 2020