Herbstkonzert Stadtkapelle, 27.10.2019

Romantik und Moderne musikalisch vereint – Herbstkonzert der Stadtkapelle Wangen im Festsaal der Waldorfschule

Mit ihrem Herbstkonzert ist der Stadtkapelle Wangen im Festsaal der Waldorfschule am Sonntagabend erneut ein emotional dichtes und musikalisch hochstehendes Konzert gelungen. Musikdirektor Tobias Zinser hatte bei seiner Stückauswahl wieder einmal eine sichere Hand bewiesen und vereinte Werke der Romantik und der Moderne zu einem intensiven Erlebnis.

Der „Marche au Supplice“, der Gang zum Schafott von Hector Berlioz (1803-1869), war von Irrsinn geprägt. Düster, aber auch einem geradezu triumphalen Marschthema gerecht werdend, entfaltete die Stadtkapelle ein breites dynamisches Panorama, eine emotionale Achterbahn im Angesicht des Todes. In den „Polowetzer Tänzen“ von Alexander Borodin (1833-1887) vereinten sich Russland und der Orient in einem lupenreinen, sehr flexiblen Klangbild.

Die sanften harmonischen Reibungen der Ballade „Perthshire Majesty“ von Samuel R. Hazo (geb. 1966) färbten dieses Klangbild dann herbstlich bunt und schwangen sich in mehreren Stufen zu wahrhaft majestätischer Fülle auf, die das Innere des Hörers völlig in Beschlag nahm. In „Battle of Hearts“ zeichnet Bert Appermont (geb. 1973) Charaktere und Handlung von Kleists „Das Käthchen von Heilbronn“ nach. Im ersten Satz stellt ein weich wogender Teppich spätromantischer Harmonien die zärtliche Liebe Kätchens dar. In den dynamischen und klanglichen Effekten eines ausgeklügelten Variationssatzes über eine Renaissance-Lied manifestiert sich anschließend die große Rivalin Kunigunde.

Dann bricht der große musikalische Feuersturm los, aus dessen Flammen die Liebe neu ersteht. Macht gegen Gefühl, Liebe gegen Gewalt, am Ende der Triumph des Guten: Das alles floss zusammen in ungemein plastisch und lebendig geschilderten Charakteren, deren Intensität unter die Haut ging.

Die „Symphonic Suite“ von Clifton Williams (1923-1976) ging ebenfalls unter die Haut: Ein wuchtige Intrada, ein von butterweichem tiefen Blech geprägter Choral, ein Marsch, präzise und prägnant, der träge antike Tanz und ein vor Kraft sprühender Schlusssatz: Das alles lief ab wie schweizer Uhrwerk und war doch voller Seele und Lebendigkeit.

Stephen L. Melillo (geb. 1967) schrieb „In einem anderen Licht“ zu Ehren des Verlegers und Arrangeurs Siegfried Rundel. Ein hochdramatischer Beginn schlug sofort in den warmen Gesang eines weit gefassten Chorals um, über den immer wieder das Chaos hereinbrach. Man erstarrte atemlos vor diesen gewalttätigen Umschwüngen auf engstem Raum und erst der strahlende Schluss löste dieses Erstarren auf.

In seinen „East Coast Pictures“ hat Nigel Hess (geb. 1953) viele Stimmungsschattierungen eingefangen und dann über seinen Musik wieder freigelassen. In Windeseile perlende Holzbläser charakterisierten „Shelter Island“. Wunderschöne Melodien und innere Wärme umfingen die Zuhörer in „The Catskills Mountains“ und „New York“ war quirlig und rastlos, gut gelaunt und optimistisch und quoll über vor ungestümer Lebensfreude – die Stadtkapelle machte auch hier wieder die Musik zum Vehikel für Gefühl und mitreißende Emotionen. Das roch nach Zugaben. Die Musiker spendierten dem begeisterten Publikum zwei Stück: den Marsch „Kinizsi“ von Julius Fucik und ein Adagio des russischen Dirigenten und Komponisten Waleri Chalilow, der 2016 bei einem Flugzeugabsturz um Leben kam – leise, ergreifende Töne als Abschied vom goldenen Oktober.

Johannes Rahn, Schwäbische Zeitung Wangen, 29. Oktober 2019