Brassed Off, November 2018

Viel Ap­plaus für ein gro­ßes Spek­ta­kel – „Brassed Off“ in der Waldorfschule

Wangen – Mit der Tragikomödie „Brassed Off – Mit Pauken und Trompeten“ ist die Kulturgemeinde Wangen am Freitagabend in die Theatersaison gestartet. Das Melchinger Theater Lindenhof kam mit großem, technisch aufwändigem Equipment, das in Gestalt einer Drehbühne im Festsaal der Freien Waldorfschule seinen Platz fand. Ein Mix aus live gespielter Blasmusik und darstellerisch hochemotionalen Szenen erwartete die Zuschauer. Beides zusammen verströmte passagenweise Musical-Atmosphäre.

In weißer, von Kohle verstaubter Bergmannskluft betritt das neunköpfige Ensemble zusammen mit den Lauchertmusikanten Melchingen den Bühnenraum. Aus dem Halbdunkel heraus leuchten ihre Helmlampen signalartig. An der Spitze der Grimley Colliery Band steht Danny (Bernhard Hurm). Dirigent und Bergarbeiter im Ruhestand, der seine Kumpels entgegen aller Wirrnisse antreibt – bis zum letzten, bis zum Beinah-Selbstmord seines Sohnes Phil (Gerd Plankenhorn). Denn für den alternden Danny, dessen Lungen die Kohle zerstört hat, zählt nur eins – die Musik.

„Kohlhaas“, „Emmas Glück“ oder „Der varreckte Hof“ sind nur einige Inszenierungen der vergangenen Jahre, die das Theater Lindenhof auf die Bühne gebracht hat. Sie alle fokussieren die existenzielle Bedrohung des Menschen mit einem weinenden und einem lachenden Auge. Das gilt auch für das nach dem Film von Mark Herman in der Bühnenfassung von Paul Allen von Christoph Biermeier inszenierte „Brassed Off“ unter der musikalischen Leitung von Thomas Unruh.

Vordergründig geht es um die angespannte Lage in den britischen Bergbaustädten, die in der Mitte der 1990er-Jahre durch Stellenabbau bedroht sind. Genau in dieser Situation befinden sich die Kumpels von Grimley, deren Zeche vor der Schließung steht.

Das Theater Lindenhof gastierte mit „Brassed Off – Mit Pauken und Trompeten“ im Festsaal der Freien Waldorfschule.  Foto: Babette Caesar

Träume von einem besseren Leben

Während Rita (Linda Schlepps) als die Tatkräftige bei jedem Streik mit dabei ist, debattieren Jim (Peter Höfermeyer) und Harry (Franz Xaver Ott) über die Abfindung von 20 000 Pfund – ja oder nein. Jims Frau Vera (Carola Schwelien) arbeitet im Supermarkt und hilft vor allem Phils verzweifelter Frau Sandra mit ihren beiden kleinen Kindern (Kathrin Kestler) mit Essbarem aus. So loten die ersten Szenen die verschiedenen Charaktere aus, deren Ambitionen und Träume von einem besseren Leben, die allesamt zerplatzen angesichts der übermächtigen wirtschaftlichen Ungerechtigkeiten. Das Gefühl existentieller Bedrohung schaukelt sich langsam hoch. Manchmal glaubt man in überlangen Passagen den roten Faden zu verlieren, in welche Richtung sich das Stück bewegt. Vor allem der Anfang tut sich schwer, um in Schwung zu kommen. Doch sobald die erste schrill-krächzende Off-Durchsage den mit rund 100 Besuchern besetzten Saal erfüllt, beginnt das Melchinger Spiel, das Netz immer enger zu ziehen.

Mit allen Mitteln für die Gemeinschaft

So als dränge es nur tröpfchenweise ins Bewusstsein, treibt Danny die Kapelle wie ein Berserker an. Zu Märschen wie „Flow and Dance“ und „Flashlight Dixie“. Fluchend und wütend mit „Spielt für euch, verdammt noch mal!“. Das Blatt scheint sich tatsächlich zu wenden, wenn die junge Saxophonistin Gloria (Mona Weiblen) erscheint. Nur, dass sich der Hoffnungsschimmer schnell in sein Gegenteil verkehrt.

Im Verlauf kommt es zu herzerfrischenden Liebesszenen zwischen Gloria und dem aufrührerischen Trompeter Andy (Rahul Chakraborty), zwischen Vera und Jim, Rita und Harry. Nur Danny verliert sein Ziel, mit der Band in der Londoner Royal Albert Hall aufzutreten, nicht aus den Augen. Gegen alle Widerstände – auch den eigenen, die ihn zusammen brechen lassen. Unter Christoph Biermeiers Regie ist über zwei Stunden ein stark emotionales, stimmungsgeladenes Stück entstanden, das seine Darsteller bis an die Grenze des Existenzverlustes treibt. Das von der Aussichtslosigkeit des Einzelnen erzählt, wenn er aus dem System kippt, nicht mehr gebraucht wird – nicht mal als Clown.

Was einzig bleibt, ist der Zusammenhalt, mit dem sie oben auf der Drehbühne musikalisch brillieren. Zu viel Applaus und Bravorufen für dieses Spektakel.

Babette Caesar, Schwäbische Zeitung, Wangen, 12. November 2018